Das archiv ist ein sub. Es ist ein baby, und es ist ausgeliefert. Es wird wachsen, doch nie erwachsen. Es gehört oft keinem menschen, denn irgendwann gehört ein archiv einer institution. Denn ein mensch, der keinen vollblütigen archivar für sein baby findet – ein mensch, der weiß, dass er gehen muss, wenn er gehen muss – der wird das archiv wohlmeinend und in bestem willen einer institution überantworten. Die ist wiederum davon abhängig, ob sich dort menschen einfinden, die dieses archiv lieben, pflegen, belisten und streicheln werden, oder die es mut- und böswillig lapidar vor sich hinrosten lassen.
Das archiv ist ausgeliefert. Es ist ausgeliefert seinen benutzern. Es basiert ganz, ganz viel auf vertrauen. Wenn ein hausfremder benutzer einen bestandteil falsch zurücklegt, dann hat es schon einen schweren knick, dieses archiv. Man geht davon aus, dass es nämlich strikt alphanumerisch aufgebaut ist. Ists das nicht, gibt’s fehlzeichen.
Das archiv beruht in allererster linie auf dem gedanken des haben-wollens. Hauptsache haben wollen, man könne ja später lesen, es wird ja immer da sein. Gelesen wird dann nie. Es ist die zeit nicht vorhanden, denn man ist ja als begnadeter und schon fast stupid-geifender sammler dauernd auf der jagd nach dem nächsten haben-wollen. Das archiv ist der hybrid aus jägern uns sammlern.
das archiv ist die rache des journalisten. Aber was ist die rache des archivs? Es ist die eigene unordnung. Durch seine passivität kann sich das archiv selbst ja nicht mutwillig wehren, aber es gibt seine gesuchten bestandteile nicht frei, wenn es weiß, dass es nicht geliebt wird. Das ist wie ein spiegel. Ein hausfremdling kommt an und will was. Man weist ihn da ein und wendet sich wieder desinteressiert ab. In dem moment wird der vertrauenswürdige hausfremdling die archivarische ordnung auch dementsprechend handhaben. Sieht aber der fremdling: hier ordiniert eine glucke, dann hat er auch den entsprechenden respekt vor dem archiv. Denn das archiv ist der hüter seines eigenen schatzes.
das archiv braucht eine hand und eine seele. Es selbst besteht aus schwingungen. Je nachdem, ob das nun ‚nur‘ was bibliophiles ist oder echte facsimile sachen. Die haben schwingungen. Sie wurden tausendfach von den händen des ursprungs berührt, durchblättert, erneut durchgelesen und umgedreht. Man kann ganz entspannt seine hand auf so ein facsimile legen und die augen schließen, und dabei diese schwingungen spüren. Man darf sich dabei gern unbeobachtet glauben, denn jeder würde denken, man spinnt. In wahrheit ist das eine strikt feinstoffliche angelegenheit; man wird kurz eins mit dem werk, man belebt es für eine minute wieder. Und das ergibt dann, dass man mit einem archiv dahingehend verwächst, dass man mit ihm-als-ganzes durch derlei schwingungs‘spiele‘ eins wird. Also wenn man es gepflegt hat, will man es eigentlich nicht wieder verlassen. Es ist nicht im eigenen besitz, aber man fürchtet die menschen, die sich dessen fortan bemächtigen werden. Üblicherweise überdauert ein archiv menschenleben. Hat man es mal gepflegt, so ist man ein teil dessen geschichte. Gemerkt hab ich das das allererste mal beim einordnen der insidern-bekannten-losen-blattsammlungen von juristen. Sogar über diese schnöden blattsammlungen gibt’s schon ne story auf woelfin.at, weil sie waren schon damals faszinierend: Justitia_Snores
Und ja, der weg 2.0 führt auch dazu, dass dem archiv seine einmaligkeit und verletzlichkeit genommen wird. Ist mal alles eingescannt, können die dadurch von ihrer seele ausgesaugten bücher eigentlich ja genaugenommen getrost den bach runtergehen. In the long run stellt sich aber dann immer raus, man fährt mit dem papier doch besser, am ende des tages. Bibliotheken sprechen davon, dass das einst so bequem liebliche bibliophil-kontemplative element im moment verloren ging, als die elektronischen verwaltungssysteme einzug hielten. Plötzlich ging alles ganz praktisch und schnell – der moment des suchens und damit eins werdens ging verloren. Der mensch konnte den büchern im durchgehen nicht mehr seine schwingungen geben, er ließ nicht zartfühlend seine fingerspitzen über die buchrücken streichen. Sorry, die bücher brauchen das aber. Weil der mensch ja wieder ein spiegel dieser bücher wird. Heute gibt’s archive, die sind urgroß und da fährt so ne zweidimensionale entnehmermaschine durch den gang, die das zeug rauspickt, was man braucht und alles hat einen chip. Wie traurig ist das jetzt bitte. Ja, bei der menge gewiss notwendig, aber dann ist halt die seele ziemlich hinweg. Würd ich der welt mal ein archiv überantworten, ich hätt keine freude, wenn meine sammlerobjekte dann in so einer seelenlos runtergedimmten halle verkämen, in der nie ein mensch atmet.
Die Unscheinbaren Aspekte
das archiv ist unsterblich. Es überdauert, wie oben schon erwähnt, menschenleben und generationen: vorausgesetzt dem beherbergenden gebäude passiert nix! (wie einst in köln).
Das archiv ist unendlich. Es ist darauf konzipiert, immer zu wachsen. Würde man was aus dem archiv rausnehmen, verkaufen oder versteigern lassen – das wäre eine verletzung gegenüber dem archiv. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die sachen darin an ihrem richtigen, ihrem endgültigen platz sind. Es gibt keinen platz, wo diese sachen eher sein sollten, als in dieser gesamtheit. Sie bilden miteinander ein organisches ganzes. Die arbeit des auflistens, zusammensuchens, ordnens immer kleinerer elemente darin, die könnte nie enden. Sie ist nach oben offen – jedoch:
das archiv ist unbedankt! Es dankt einem genaugenommen niemand diese fitzelarbeit in so einem archiv. Man geht davon aus, es ist eh da, es ist eh geordnet und ordnet sich quasi von selbst. Ist mal was nicht zu finden, gibt’s jedoch erbarmungslose kritik. Es ist eine nicht anerkannte arbeit, eine nicht anerkannte aufgabe, die nicht unmittelbar früchte oder ertrag abwirft. Außer eben die informationen, aber die nimmt der benutzer eh als ganz natürlich hin. Die forschungswelt ist eine kalte wirtschaftswelt geworden: jede handlung, die man setzt, muss ‚was bringen‘. Kein zeit für die sonst für das archiv so bezeichnende kontemplation, langsamkeit, meditation und stille eines klosters.
Das archiv ist unscheinbar. Unscheinbar, weil passiv. Es ist das wartende Yin, das nichthandeln. Das Warten darauf, dass man es braucht und anerkennt, im idealen fall pflegt beziehungsweise gar erweitert. Eine erweiterung wird nichtmal unmittelbar schlagend im archiv. Man kann ein ganz tolles stück hineinstellen, aber das stück versinkt sofort in der gesamtheit des archivs, es nimmt die farbe der umgebenden an – nur ein kenner wird die wertvollen juwelen des archivs herausfinden, die vielleicht ganz schön teuer erworben wurden. Das archiv ist der kommunismus der gegenständlichkeiten.
Der Wächter / Die Glucke
Das Archiv kann sich selber um es nicht kümmern. es kann sich nicht kümmern drum, dass es einen wächter oder eine glucke bekommt. es muss immer ein hauptverantwortliche/r für so etwas da sein. im rahmen des berufs, oder sonstwie gegen einen kleinen obolus, im grenzfall auch ehrenamtlich. und das archiv ist aber darauf ausgerichtet, stück für stück seine glucken und seine wächter zu überleben. es ist ja für die ewigkeit, der mensch aber muss irgendwann mal gehen. diese informelle archivverantwortung entspricht irgendwie der weitergabe des wissens eines schamanen oder medizinmannes innerhalb des stammes. wehe, der, den er angelernt hat, kommt in der jagd um oder erkrankt tödlich. das hängt alles irgendwie immer an einem seidenen faden. und klar verkraftets das archiv, wenns auch mal gluckenlos und wächterlos dahindarbt, so an die zehn jahre verkraftets das schon; länger aber sollts nicht sein. am schönsten ist diese aufgabenweitergabe wirklich vom meister zum nachwuchs. und dieser nachwuchs muss diese immaterielle begeisterung spüren, die mit schwingungen oder auf höherer ebene der stringtheorie erklärbar wäre. damit wird diese abhandlung endgültig leicht fiebrig vergrippt mit ihren weit über 1000 worten (eigentlich ist 700 die obergrenze für wölfische beiträge, wer sich bis hierher durchgekämpft hat kriegt den von mir vor 15J eingeführten lesenobelpreis). na jedenfalls wollte ich das wächter- und gluckenphänomen nicht unerwähnt lassen. /1247w; pic:pixabay_pexels